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Fukushima, die grobfahrlässige Katastrophe

Fukushima, die grobfahrlässige Katastrophe

(von Peter Ungerer und Dr. Bernd Fleischmann, 10.1.2022)

Ein Erdbeben der Stärke 9 vor der Küste Japans und der nachfolgende Tsunami haben am 11.3.2011 eines der größten AKW-Unglücke ausgelöst. Dieser Bericht beschreibt die Ursachen, den Ablauf und die Folgen des Unglücks. Vorab: Die Bedienmannschaften der sechs Reaktoren in Fukushima Daiichi verdienen unseren Respekt für die Beherrschung des vom Management und von korrupten Institutionen verursachten Unglücks. Es gab noch nicht einmal ein Notfall-Handbuch für den gleichzeitigen Stromausfall in zwei oder mehr Reaktoren.

Vereinfacht entsprechen die General Electric Mark 1 Reaktoren in Fukushima einem 21 m hohen Dampfkochtopf mit 5,53 m Durchmesser, in dessen Mitte ein Reaktor mit 400 bis 548 Brennstäben sitzt. Jedes zerfallende Urannatom exportiert 2 Neutronen, die, falls sie mit der richtigen Geschwindigkeit andere Uran 235 Isotope treffen, diese spalten und pro Spaltung 2 Neutronen exportieren. Jetzt haben wir schon 4 Neutronen.  Eine Kettenreaktion setzt dann ein, wenn die Neutronen die richtige Geschwindigkeit haben. Dazu braucht es einen Moderator, der sie entsprechend abbremst. Der Moderator in Fukushima ist Wasser. Verdampft das Wasser im Fehlerfall, gibt es keine Kettenreaktion mehr. Ein Atomkraftwerk (AKW) kann also nicht atomar „explodieren“, auch wenn manche AKW-Gegner das behaupten, womit sie sich disqualifizieren.

Zurück zu unserem Kochtopf, bei dem wir natürlich die Menge des erzeugten Dampfes regeln wollen; das geschieht durch Regelstäbe zwischen den Brennelementen, die einen Teil der Neutronen absorbieren. Je weiter sie eingefahren sind, desto geringer wird die Leistung des Reaktors. Nach dem vollen Einfahren der Regelstäbe erzeugen die Brennelemente für eine gewisse Zeit noch Leistung, weil einige Elemente natürlich zerfallen. Diese sogenannte Restwärme ist nach einer Minute 2,5 % der Nennleistung, nach einer Stunde 1% und nach einem Monat rund 0,13 %. Kippt man Borsalz in den Reaktor, dann hat das die gleiche Wirkung wie das komplette Einfahren der Regelstäbe. Das ist der sichere Schnellstop der Kettenreaktion in AKW. Die Restwärme war das Problem in Fukushima. Das klären wir in den nächsten Abschnitten.

Nach dem Erdbeben, das am Standort der AKW noch eine Stärke von 6 bis 7 hatte, wurden automatisch die Regelstäbe voll eingefahren und der sog. „Kaltstatus“ eingeleitet. Der Kaltstatus ist erreicht, wenn die Temperatur im „Dampfkochtopf“ unter 100 °C gefallen ist. Dann hört das Wasser auf zu kochen und der Druck fällt. Pumpen versorgen das Reaktorgefäß vor dem Kaltstatus mit Speisewasser und der Dampf wird heruntergekühlt bis er wieder zu Wasser wird. Für die Pumpen braucht man in Fukushima Strom von außen. Durch das Erdbeben waren aber die Fernleitungsmasten umgefallen, weil sie nicht erdbebensicher konstruiert waren.

Erster Skandal: Die Fernleitungsmasten hätten erdbebensicher gebaut werden müssen.

Die AKW wurden daraufhin durch je zwei Notstrom-Diesel versorgt und alle aktiven AKW haben die Kaltstatus-Prozedur erfolgreich gestartet. Schäden durch das Erbeben, die den Kaltstatus verhindert hätten, sind nicht entdeckt worden. Die meisten Diesel waren aber grob fahrlässig in den Kellern der AKW installiert und nicht wassergeschützt. 40 Minuten nach dem Seebeben überrollte der Tsunami, der an dieser Stelle mehr als 15 m hoch war, die Küste von Fukushima Daiichi, die im Bereich der AKW auf eine Höhe von 10 m (Reaktorblöcke 1 bis 4) bis 13 m (Blöcke 5 und 6) abgetragen war. Die Diesel der Reaktorblöcke 1 bis 4 wurden geflutet und damit unbrauchbar. Die Blöcke 5 und 6 wurden von einem höher installierten luftgekühlten Diesel mit Strom versorgt und erreichten die sichere Kaltphase. Das Meiji-Sanriku-Seebeben von 1896 führte zu einem 25 m hohen Tsunami. Man war also gewarnt und hätte auch für die Blöcke 1 bis 4 hochgelegene Diesel vorsehen müssen.

Zweiter Skandal: Der Bau ohne ausreichende Tsunami-Schutzvorrichtungen hätte nie genehmigt werden dürfen.

Die Kraftwerksblöcke 1 bis 4 in Fukushima Daiichi waren also stromlos, das Kontrollzentrum war geflutet und man hatte keine Infos über den Zustand der Kraftwerksblöcke. Man konnte keine Ventile öffnen oder schließen. Drei Blöcke waren vor dem Erdbeben unter Volllast gelaufen, hatten von der 250 °C Betriebstemperatur vielleicht 20 bis 30 °C abgebaut und verdampften weiterhin ihr Kühlwasser. Mit Oberschulphysik kann man nun ausrechnen, wann der noch Restwärme produzierende Reaktorkern ohne Kühlwasser anfängt zu schmelzen. Damit ist der berühmte Super-GAU erreicht, der über den Größten Anzunehmenden Unfall – den Auslegungsstörfall – hinausgeht. Was macht dann unser Kochtopf? Er ruiniert seine Dichtungen und bläst den radioaktiven Dampf über Notventile ab. Das ist immer noch besser als ein Druck-Riss im großen Topf, wodurch die Umgebung noch mehr verseucht würde.

Der „Dampfkessel“ sitzt in einem Containment aus bestem Stahlbeton als zweite Verteidigungslinie. Da das Containment ein wesentlich größeres Volumen hat, reduziert sich der Druck. Schafft man es, Wasser in das Reaktorgebäude zu pumpen und das Containment von außen zu beregnen, hat man eine gute Chance, ohne Verseuchung der Umwelt selbst den Super-GAU zu bewältigen. Das konnte in Fukushima aber erst Tage nach dem Unglück gemacht werden, denn es gab zwar Feuerwehrautos, aber keine Süßwasserteiche! Diese Teiche waren natürlich vorgeschrieben, aber 30 Jahre lang hat man ihren Bau nicht durchgesetzt. Modernere AKW haben einen großen Wasserbehälter oberhalb des Reaktorgefäßes, der ohne Pumpen (allein durch Schwerkraft) drei Tage lang für ausreichende Kühlung sorgt. In dieser Zeit kann die Stromleitung oder der Diesel repariert werden.

Dritter Skandal: Es gab kein Süßwasserreservoir, obwohl es vorgeschrieben war.

In AKW besteht die Gefahr, dass Wasserstoff freigesetzt wird. Darum gibt es Katalysatoren, in denen Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser reagiert. In Fukushima gab es diese aus Kostengründen nicht, stattdessen billigere Stromreaktoren, die ohne Strom natürlich nicht funktionieren konnten. Außerdem waren die Leitungsschächte zwischen den Kraftwerksblöcken nicht abgedichtet und der Wasserstoff verteilte sich zwischen den Blöcken. Deshalb gab es Knallgasexplosionen in zwei der Gebäude, welche die Umhüllungen der AKW wegsprengten.

Vierter Skandal: Aus Kostengründen gab es keine Katalysatoren, die die Knallgasexplosionen verhindert hätten.

Mutige Arbeiter schnitten Löcher in die Dächer der Blöcke 5 und 6. Dort konnte der Wasserstoff entweichen und es gab keine Knallgasexplosion. Das ist zwar atomrechtswidrig, aber zur angedrohten Anklage ist es dann doch nicht gekommen. Stattdessen gab es für den Mut der Arbeiter Orden aus Spanien. Diese beiden Blöcke liefen noch bis 2014, denn die hochgelegenen Diesel ermöglichten ein sauberes Herunterfahren nach dem Erdbeben.

Die Reaktoren der zweiten Generation haben ein zu kleines Containment und überleben ohne Strom und Wasser von außen die Abschaltung nur 4 bis 8 Stunden lang. Das war den Konstrukteuren bekannt. Ist Strom und Wasser verfügbar, dann wiederholt sich das Unglück von Fukushima auch mit diesen alten Konstruktionen nicht.

Reaktoren der dritten Generation haben ein viel größeres Containment und überleben die Abschaltung mindestens 3 Tage, aktuelle AKW sogar 7 Tage. Die Restwärme ist dann weniger als ein halbes Prozent der Nennleistung und führt zu keinen weiteren Schäden. Das Reaktorgefäß sitzt dort unterhalb des Speisewassertanks, beide innerhalb des Containments. Im stromlosen Notbetrieb zirkuliert das Wasser durch den Thermosiphon-Effekt ohne Pumpen: Das Wasser im Reaktor erhitzt sich, bis es anfängt zu verdampfen und der Dampf kondensiert an den Innenwänden des ebenfalls durch den Thermosiphon Effekt von außen luftgekühlten Containments. Wasser aus einem Tank oberhalb des Containments unterstützt die Kühlung. Es müsste erst nach 3 bis 7 Tagen nachgefüllt werden. Dazu würde die Leistung eines Feuerwehrautos genügen. In Wärmetauschern innerhalb des Containments wird die Wärme des Reaktors weitergegeben, der radioaktive Dampf kann nicht nach außen dringen. In der alten Reaktorgeneration von Fukushima dagegen betreibt radioaktiver Dampf die Turbinen außerhalb des Containments. Aber auch diese alten Reaktortypen sind weiter in Betrieb, mit verbesserter Strom- und Wasserversorgung. AKW der dritten Generation sind mindestens um den Faktor 10 sicherer als AKW der Generation zwei ohne die in Japan gemachten Fehler.

Fukushima hat genau genommen bewiesen, dass ein GAU zwar Geld kostet, aber nicht die Umwelt verseuchen muss. Das muss man aber planen, dokumentieren und umsetzen. Zur Bauzeit der Kraftwerke in Fukushima war der übliche Preis für Atomstrom 2 US-Cent pro kWh. Der AKW-Betreiber TEPCO und die japanische Regierung haben aus Kostengründen essenzielle Vorschriften nicht durchgesetzt und einfach „vergessen“. Die Aussage von Angela Merkel: „Wenn Japan die Risiken der Kernenergie nicht beherrscht, wer dann?“ war unbegründet!

Die Kernenergie ist heute gut beherrschbar, wenn die Planung und Überwachung der AKW kompetent und nicht korrupt ist. Die Amerikaner haben nach dem Three-Mile-Island Problem eine nationale Sicherungsbehörde geschaffen und den Bundesstaaten Kompetenzen weggenommen. Experten der Behörde residieren in den AKW. Sie haben Zugriff auf alle Informationen im AKW und die Behörde kann die Steuerung des AKW im Notfall komplett übernehmen. Wir sollten das System für die EU übernehmen. US-Unternehmen müssen Ihre Mitarbeiter gegen Betriebsunfälle versichern. Seit Jahren zahlen AKW-Betreiber die niedrigsten Versicherungsprämien, was das Vertrauen der Versicherungsunternehmen in die AKW beweist.

Deutschland hat viel Geld und Ingenieursleistung in die friedliche Nutzung der Kernenergie gesteckt. Wir waren mit Frankreich zusammen auf dem Weg, nuklear weltweit führend zu werden. Jetzt hat Deutschland die höchsten Stromkosten der Welt – doppelt so hoch wie in Frankreich – mit ständig sinkender Versorgungssicherheit.

Der folgenreichste Skandal: Angela Merkel hat mit dem Atomausstieg die planwirtschaftliche – und damit planlose – „Energiewende“ beschleunigt, um die Landtagswahlen Ende März 2011 in Baden-Württemberg für die CDU zu retten. Genützt hat dieses populistische Manöver nichts, der energiepolitische und finanzielle Schaden belastet uns jedoch noch für Jahrzehnte!

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